Winter im Morgengrauen

Stück nach dem Roman von Jens-Martin Eriksen
mit: David Fischer, Manuel Klein, Harald Redmer
Regie : Frank Heuel

In einem Land irgendwo inEuropa: In einem Bürgerkrieg wird der Literaturstudent Z. zur Miliz eingezogen. Seine Einheit erhält den Befehl, in einem Teil des Landes Säuberungsaktionen unter Zivilisten durchzuführen. Von den Befehlshabern der Miliz werden er und seine Kameraden derart manipuliert, dass sie ihre grauenhafte Mission gewissenhaft ausführen. Nach und nach wird für die jungen Männer der Tod zur Routine, und ihre zunehmende seelische Verrohung droht, die Einheit von innen her zu zersetzen. Z. löst sich von all seinen Wertvorstellungen, um als Akteur des Todes bestehen zu können.

Presse:

fringe ensemble spielt „Winter im Morgengrauen“ im Theater im Ballsaal.
Die Banalität des Bösen: Stück des dänischen Autors Jens-Martin Eriksen zeigt, was Krieg aus Menschen machen kann.

Die Philosophin Hannah Arendt hat den Begriff geprägt: die Banalität des Bösen. Ein Begriff, der mit dem Massenmord der Nazis verbunden ist und sich gleichfalls aus diesem Kontext lösen und übertragen lässt. Wo auch immer sich eine Maschinerie der Macht in Gang setzt, die ihre Untergebenen durch Propaganda und Manipulation zu Gewaltexzessen und der fabrikmäßigen Ermordung unschuldiger Zivilisten treibt. Genau das widerfährt dem namenlosen Protagonisten des Romans „Winter im Morgengrauen“, den der dänische Schriftsteller und Theaterautor Jens-Martin Eriksen 1996 mit Blick auf die Gräueltaten im Kosovo schrieb und aus dem Regisseur Frank Heuel für die Produktionsgemeinschaft Fringe Ensemble /Phoenix 5 jetzt ein 90-minütiges, packendes und verstörendes Drama gemacht hat.

Und das in einer Sprache, die so erschreckend prosaisch klingt wie auch in der Romanvorlage und der Banalität des Bösen wieder ein neues Gesicht gibt. Auch wenn niemals direkt von „ethnischen Säuberungen“ gesprochen wird, ist der menschenverachtende Zynismus dahinter doch in jeder Minute spürbar; sozusagen zum Greifen nah.

Dabei erweist sich Heuels Idee, die Rolle des Protagonisten mit den drei im Alter aufsteigenden Schauspielern Manuel Klein, David Fischer und Harald Redmer zu besetzen, als nahezu genial. Dieser Kunstgriff führt einerseits dazu, die Zerrissenheit des anonymen Soldaten einer ebenso anonymen Miliz in einem Kriegsgebiet irgendwo in Europa zu demonstrieren und sein Schicksal andererseits zu verallgemeinern. Dabei beginnt die Geschichte eher unspektakulär mit einer Gruppe junger Soldaten, die nach gerade mal einem Tag „Grundausbildung“ in einer zur Kaserne umfunktionierten Schule auf ihre Marschbefehle warten. Sie sollen die Männer eines Dorfes – kurzum nur „die Begleiteten“ genannt – eskortieren. So heißt es jedenfalls zunächst. Doch schnell wird klar, dass es damit nicht getan ist und der Protagonist und seine Kameraden an Erschießungen teilnehmen.
Dabei, so erzählt er, sei es wichtig gewesen, dass sich alle gleichzeitig vor dem Graben aufstellen, damit keiner fürs Sterben noch Schlange stehen müsse. Nur ein paar Tage dauert es, bis aus den Soldaten willenlose Vollstrecker geworden sind, die allenfalls noch nach logistischen Problemen bei den Exekutionen fragen.

Bis der Erzähler eines Tages einem alten Freund aus Kindertagen gegenübersteht. Er bringt es nicht fertig, ihn zu erschießen. Er lässt nur zu, dass ein anderer den „Job“ erledigt, während die Augen des Opfers ihn verfolgen. Klein, Fischer und Redmer verleihen der Figur eine bedrohlich-banale Intensität. Schade ist nur, dass beim Zuhören über 90 Minuten die Konzentrationsfähigkeit mitunter etwas leidet. Das Hauptaugenmerk des Stückes liegt auf dem Text.

Das ist die Stärke und manchmal eben auch die Schwäche dieser Inszenierung, die niemanden kalt lassen wird. Um zu zeigen, dass Krieg auf allen Seiten unbarmherzig seine Opfer fordert, reicht manchmal eben schon ein lakonischer Bericht.

Ulrike Strauch, General-Anzeiger Bonn, 28.02.2009

Wenn der Krieg knackst…
Irgendwo in Europa. Die Orte tragen Namen wie Madagaskar, Columbus, Alaska, die Kameraden heißen Gamma, Delta oder Möbius. Sie stehen für das Namenlose, Gesichtslose, das in allen Kriegen gleich ist. Es sind die schlimmen Geschichten, die manchmal ganz harmlos anfangen, wie das fringe ensemble in Kooperation mit phoenix5 am Donnerstag im Pumpenhaus zeigte.

Ein namenloser Erzähler berichtet in „Winter im Morgengrauen“, wie er zu einer Miliz abkommandiert wird, mit der er vier Wochen lang „Säuberungen“ durchführen soll. Glaubt er anfangs noch, die Erlebnisse wieder abschütteln, aus seinem Leben tilgen zu können, übernimmt er nach und nach die Ideologie des Tötens, wird infiltriert.

Der Erzähler beschreibt in der nüchternen Sprache des Krieges. Der Sprache, die ins Leere greift, wenn sie mit technischen Umschreibungen das Entsetzliche normal erscheinen lassen will. Getränkt ist von Hüllwörtern. Die Unschuld? Längst vergangen. Statt in Unschuld wäscht man hier die Hände in Blut rein. „Winter im Morgengrauen“ in der Regie von Frank Heuel zeigt eindrucksvoll die Relativität von Normen im Krieg, von Menschlichkeit, von Wirklichkeit – den Riss in der Welt, den der Krieg schafft. Der danach nicht zu kitten ist, weil die Teile einfach nicht mehr zusammenpassen.

Die Handlung ist sehr reduziert, viel geschieht in der Innenperspektive der Hauptfigur, die mit David Fischer, Manuel Klein und Harald Redmer gleich dreifach besetzt ist. Nur einmal bricht die Verzweiflung, die Frustration hervor: „Krach!“, ein Apfel nach dem anderen knallt gegen den Bretterzaun, den die drei Erzähler zertreten. „Knacks“ macht es, wenn die Latten brechen. Es kracht, wenn sie ins Obst beißen, mit Gier und Verachtung, die sich in ihren Gesichtern gepaart haben.

„Winter im Morgengrauen“ zeigt eine Geschichte der inneren Veränderung, die nach außen dringt, nach und nach durch alle Poren hervorbricht. Es ist die Geschichte eines Opfers, das selbst zum Täter wird, dem namenlosen Grauen des Krieges ein Gesicht gibt. Das Stück lässt bewusst Leerstellen, lässt den Zuschauer allein mit Fragen nach Schuld, Verantwortung, Normen. Erhebt keinen Zeigefinger. Das ist seine Stärke: Hier ist der Zuschauer in der Verantwortung, zu urteilen. Der Autor der Romanvorlage, Jens-Martin Eriksen, war bei der Premiere anwesend und begeistert über die Umsetzung seines Romans.

Maria Berentzen, Westfälische Nachrichten, 31. Januar 2009

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